Schutz der Privatsphäre heißt auch, die Steuerdaten der Bürger zu sichern
Dass der Schutz der Privatsphäre auch heißt, die Steuerdaten der Bürger zu sichern, kommt offenbar niemandem in den Sinn. Die Steuer-CDs, die nun heiliggesprochen werden, enthalten ja nicht nur die Namen von Leuten, die hier und da ein Konto unterhalten, von dem das Finanzamt nichts wissen soll. Ein Gutteil dieser Art der Vorratsdatenspeicherung betrifft Leute, die sich nicht das Geringste zu Schulden haben kommen lassen.
Wir finden in der Steuerdebatte alles wieder, was man aus dem protestantischen Tugendmilieu kennt: der unbarmherzige Blick auf den Sünder, die Rechenschaftspflicht gegenüber Gott und Staat, die unendliche Bereitschaft zur Selbstzerknirschung. "Repräsentantinnen und Repräsentanten der SPD haben eine besondere Vorbildfunktion, der sie auch gerecht werden müssen", erklärte ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel am Montag, als sich auch in den eigenen Reihen ein schwarzes Schaf fand. Die Vorstellung, Träger einer höheren Moral zu sein, ist allen politischen Fortschrittsprojekten eingeschrieben.
Die Steuerpflicht ist wie jede Solidaritätszumutung eine Last, keine Wohltat. Das heißt nicht, dass man auf sie verzichten könnte oder sollte. Auch eine gewisse Steuerehrlichkeit ist unerlässlich: Wenn zu viele Leute den Eindruck gewinnen, sie könnten sich der Last gefahrlos entledigen, bleibt am Ende nicht genug übrig, was man verteilen könnte. Aber so argumentieren die Prediger der neuen Steuermoral nicht, sie zielen tiefer. Wir sollen wollen wollen, was wir bislang eher widerstrebend erledigten. So verschieben sich die Maßstäbe: Früher stolperte man als Politiker über eine außereheliche Affäre, heute über ein nicht ordnungsgemäß angemeldetes Konto.
Jede Heimlichkeit zeigt den bösen Geist, den es auszutreiben gilt
200.000 Euro waren es bei Alice Schwarzer, die sie nachgezahlt hat; 20.000 Euro bei dem Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz, der dafür von seiner Partei in die Verbannung geschickt wurde. Aber in der Logik des Puritanismus kommt es nicht auf die Höhe des Betrags an: Jede Heimlichkeit zeigt den bösen Geist, den es auszutreiben gilt. Da reicht schon der eine Euro, den man nicht angegeben hat.
Wir stehen am Ende eines langen Kulturkampfs. Nur im äußersten Süden der Republik hat sich die Vorstellung gehalten, dass nicht jeder krumme Weg gleich ins Gefängnis führen muss. Hier ist die Spezlwirtschaft so tief verwurzelt, dass man den Steuersünder als Schlitzohr würdigt, vorausgesetzt, er ist ein anständiger Kerl, was sich in Bayern nicht ausschließt. Es ist kein Zufall, dass die SPD hier nie ein Bein auf den Boden bekommen hat.
Dem Norden war die bayerische Schlamperei schon immer ein Ärgernis, mitsamt der Blasmusik, den Trachtenumzügen und dem hedonistischen Kapitalismus. Jetzt sieht es so aus, als ob der protestantisch-anale Geist gegen den katholisch-oralen den Sieg davon trägt. Mögen sie in München ihren Hoeneß hochleben lassen, die wahre Musik spielt in Berlin.
Der nächste Schritt ist das Verbot loser Reden. Wer Steuerhinterziehung entschuldigt oder verharmlost wird mit Geldstrafe oder Gefängnis nicht unter einem Jahr bestraft.