Wir werden dazu aufgefordert, uns so zu verhalten, als wäre die
menschliche Gemeinschaft nichts weiter als eine Infektionskette.
Individuen werden nicht mehr als Träger von Menschenwürde, sondern primär als Virenträger angesehen. Die Menschheit wird als Herde betrachtet, für die strikte Abstandsregeln definiert werden müssen, um die Ausbreitung eines Virus einzudämmen.
Die drastischen Massnahmen, die ergriffen werden um Menschenleben zu retten, führen dazu, dass wir in die Freiheitsstruktur aller eingreifen.
Infektionsketten durch Social Distancing zu unterbrechen, erscheint eher angemessen.
Doch ist die Ausgangssperre das einzig angemessene Mittel?
Die Obrigkeiten arbeiten mit dem virologischen Imperativ, weil wir angeblich im Krieg seien.
Wir befinden uns aber gar nicht in einem Krieg. Ein Virus ist nicht unser Feind, sondern eine anonyme biologische Struktur, die uns als Wirt heimsucht, um sich zu vermehren und in unseren Zellen zu gedeihen. Dem Virus ist es völlig egal, wie es uns dabei geht. Wir sind nicht sein Feind, sondern sein Mittel zum Zweck.
Das Virus greift uns nicht an, sondern spult ein Programm ab, das sich virologisch und epidemiologisch erfassen lässt. Wir haben es mit einer leicht zu entlarvenden politische Lüge zu tun, wenn Politiker postulieren, wir befänden uns in einem Krieg.
Gegen eine Infektion kann man keinen Krieg führen.
Bis vor wenigen Tagen schien der Wertekanon der liberalen Demokratie noch vom Aufmarsch des postfaktischen Zeitalters bedroht. Nun postulieren unsere edlen Vertreter der liberalen Demokratie selbst postfaktische Parolen.
Derartige Geistesverwirrungen zeichneten sich bereits seit längerer Zeit ab, allzu viele haben sich einem metaphysischen Relativismus verschrieben. Zu ihren prominentesten Vertretern zählt der französische Soziologe Bruno Latour. Er hat sich sogar zu der erstaunlichen These verstiegen, Ramses II. könne nicht an der Tuberkulose verstorben sein, weil der Erreger erst im neunzehnten Jahrhundert entdeckt worden sei. Das ist metaphysische Absurdität.
Auf dem Boden derartiger Geisteszustände schlägt das neue Coronavirus wie ein Wirklichkeitsmeteorit ein.
Und plötzlich sind sich erschreckend viele Obrigkeiten einig:
Ausnahmezustände und Notstandsgesetze sowie die ungebremste Beschleunigung der Digitalisierung zur Totalüberwachung unserer Gesundheit sind die einzige Möglichkeit, mit der Corona-Krise umzugehen.
Binnen weniger Wochen scheint das geistige Virus der postfaktischen Gefühlsduselei und Identitätspolitik zugunsten einer globalen Politik überwunden worden zu sein. Und es wird plötzlich brandgefährlich:
Aus dem
biologischen Realismus
leiten die Regierungen einen neuen
politischen Objektivismus
ab.
Wir sollten uns daher mit den aktuellen Gedanken des italienischen Philosophen Giorgio Agamben und von Yuval Noah Harari ernsthaft befassen, um uns eine Entwicklung vor Augen zu führen, die tatsächlich zu den Möglichkeiten der Gegenwart gehört.
Agamben stützt sich auf seine Interpretation der Moderne, die immer wieder den Ausnahmezustand einführt, um Menschen auf das
“nackte Leben”,
wie er dies nennt, zu reduzieren. Wir werden plötzlich zu nicht mehr als Datenpunkten in virologischen Modellen und Gesundheitssystemen, wofür unsere wichtigsten sozialen Praktiken
- Freundschaft,
- Umarmung,
- religiöse Riten,
- Konzerte
geopfert werden.
Für Agamben ist die Corona-Krise eine Bestätigung dafür, dass wir uns auf dem Weg in eine dystopische Cyberdiktatur befinden.
Ähnlich sieht das Harari. Die technologischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts
- künstliche Intelligenz,
- Fake-News,
- digitalisierte Medizin
verändern unsere Gesellschaft vorhersagbar fundamental und machen uns manipulierbar:
Plötzlich ist es denkbar, dass bald in Europa Corona-Apps auf unseren Smartphones installiert sind, die unsere Mitmenschen in virale Übertragungsorte verwandeln, deren Bewegungen durch Telekommunikationsunternehmen und Gesundheitsämter vollständig überwacht werden.
Es fehlt an differenzierter Herangehensweise – wohl mit Absicht.
Die gegenwärtige Wissenschaftsgläubigkeit der Politik ist nicht ganz so echt, wie sie aussieht.
Bis vor kurzem war es noch unmöglich,
- dass die USA und die EU ihre Grenzen schliessen,
- Versammlungen von mehr als zwei Menschen verbieten,
- den umweltverpestenden Tourismus und globale Produktionsketten bremsen
um nun plötzlich unvorstellbare wirtschaftliche Schockzustände hinzunehmen mit dem Ziel, einem ethischen Imperativ zu folgen.
Als ein ebenso wissenschaftlich gut erhärteter Befund gilt, dass die Klima-Krise – nüchtern betrachtet – gefährlicher einzustufen wäre als die Corona-Krise, weil sie den Fortbestand der Menschheit insgesamt bedroht. Und es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage:
Warum wird denn kein Notstand ausgerufen, um der Klima-Krise zu begegnen, die den Fortbestand der gesamten Menschheit bedrohe?
Urplötzlich wird nun nichts weiter als ein naturwissenschaftliches, blosses virologisches Modell als
zwingendes Argument für angeblich alternativlose politische Entscheidungen
verwendet.
Virologische Modelle berechnen verschiedene Szenarien der Ausbreitung des neuen Coronavirus mittels Computersimulationen.
Modelle sind keine Kopien der Wirklichkeit, sondern Vereinfachungen von Datensätzen, durch die wir Muster erkennen wollen. Doch wie gut unsere virologischen Modelle auch immer sein mögen:
Aus statistischen Modellen folgen nie unmittelbare politische Handlungsanweisungen.
Halten wir fest:
Der unbedingte Imperativ, der uns auffordert, das öffentliche Leben und alle Mikroentscheidungen an der Verbreitungslogik virologischer Modelle auszurichten, verdeckt eine Reihe ausschliesslich politischer Entscheidungen, die nicht wissenschaftlich gedeckt sind. Denn der “virologische Imperativ” versteht sich nicht von selbst, da die blosse politische Interpretation der naturwissenschaftlichen Tatsachen selbst keine naturwissenschaftliche Tatsache darstellt, gar nicht darstellen kann.
Wie gefährlich der Corona-Virus schlussendlich ist, weiss derzeit keiner genau, weil die Datensätze noch nicht gut genug sind, um die virologischen Modelle optimal zum Einsatz zu bringen.
Naturwissenschaftlich-medizinische Forschung bleibt wichtig um zu klären, welche Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Diese Forschung kann überlebenswichtige Tatsachen sichtbar machen. Diese existieren aber noch nicht.
Es ist schlicht unrichtig, dass es derzeit einen virologischen Imperativ gäbe, der all die Massnahmen der Unterminierungen der demokratischen Öffentlichkeit rechtfertigen würde, da es andere, mindestens ebenbürtige medizinische und sicherheitstechnische Imperative gibt, denen kein Gehör geschenkt wird.
- Wie steht es mit den konkreten Gefahren für unser Gesundheitssystem, die durch den wirtschaftlichen Schockzustand der bevorstehenden Wirtschaftskrise erst geschaffen werden?
- Wie mit den Einsamen und Suchtkranken, den Menschen, die nicht den Luxus haben, sich in ein sicheres Zuhause mit Garten zurückziehen zu können, sondern denen durch die Ausgangssperren häusliche Gewalt und Missbrauch drohen?
- Und welche Risiken bestehen für unsere Sicherheit, wenn plötzlich Geschäfte in E-Meetings abgewickelt werden, die ohne grosse Schwierigkeiten abgehört werden können?
Die politischen Entscheidungsträger müssen sich fragen lassen:
Ist das
Dummheit
oder
Absicht?