Die Hausdurchsuchung ist aus Sicht der Ermittler wenig ergiebig. Keine Hinweise auf Konten in Liechtenstein. Nach vier Stunden ziehen sie sich zurück. Routinemäßig fällt der letzte Blick in die Mülltonnen. Und dort finden die Fahnder die geschredderten Unterlagen, konfiszieren sie.
Angst machen sie Betzl damit nicht – er ist sich seiner Sache sehr sicher. Stolz prahlt er später gegenüber der FTD, er habe das Material "cross geschreddert". Das könne man nicht rekonstruieren. Dass es sich um Bankunterunterlagen handelt, bestreitet er: "Sie glauben doch nicht, ich hätte die Unterlagen zu Hause."
Die Ermittler wollen das überprüfen, schicken die Tüte mit Papiermüll nach Berlin ins Fraunhofer-Institut. Dort hat man ein Verfahren entwickelt, das ursprünglich dazu diente, gehäckselte Stasiunterlagen zusammenzusetzen. Der Auftrag kostet den Steuerzahler 20.000 bis 30.000 Euro. Aber die Bochumer Staatsanwaltschaft, damals noch mit dem Fall betraut, hält den Aufwand für angemessen.
Am Tag nach der Hausdurchsuchung lässt Betzl sein Amt ruhen. Gegenüber dem damaligen Landtagspräsidenten Alois Glück beteuert er seine Unschuld. Im Gespräch mit der FTD räumt er ein, eine Stiftung in Liechtenstein gehabt zu haben. Die Beträge seien aber minimal gewesen, er sei Opfer einer Intrige. Nach Recherchen der FTD handelt es sich bei Betzls Stiftung um die Purga-Foundation. Noch im Sommer 2008 schlummern dort etwa 700.000 Euro. Minimale Summen? Darauf angesprochen ist Betzl erst mal sprachlos. Seine frühere Aussage sei nicht auf das Kapital bezogen, sondern auf den Ertrag, sagt er dann.
Der Fall wird im Frühjahr 2008 zum Politikum: Ein hoch bezahlter Beamter des Landtags ein mutmaßlicher Steuerhinterzieher! Die Frau des Datenschützers eine Agentin! Der Imageschaden ist immens, für alle Beteiligten – Betzl, BND und Bayern. Jetzt heißt es Schadensbegrenzung. Nur wie? Die Bochumer Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsdelikte ermittelt in allen 700 Fällen der LGT-Affäre. Die Münchner wollen den Fall nach Bayern holen. Eine Sprecherin des Landtags bestätigt, dass "München dazu gedrängt" habe.
In einem Gespräch auf Generalstaatsanwaltsebene soll München gedroht haben, die Zuständigkeit der Bochumer für die Gesamtheit der Fälle anzufechten, wenn der Fall Betzl nicht herausgerückt werde. Murrend geben die nach. Zu groß die Gefahr, die prestigeträchtigen Mammutermittlungen zu verlieren. Als einziger Fall wird Betzl aus dem Komplex ausgegliedert. Seine Akte wandert nach Bayern. Nach Münchner Lesart klingt die Begründung anders: "Eines Tages wollten die Bochumer den Fall abgeben", sagt Oberstaatsanwalt Anton Winkler.
Derweil arbeitet das Fraunhofer-Institut in Berlin daran, die Schnipsel aus Betzls Schredder zusammenzusetzen. Jedes Teil muss gescannt und von einem Computer nach Risskanten, Farbe, Papierstärke und Schriftbild zusammengesetzt werden. Es gelingt den Experten, einzelne Seiten zu rekonstruieren, doch die Arbeit dauert. Zu lange, findet die Münchner Staatsanwaltschaft. Das Warten sei unzumutbar für Betzl. Sie handelt auf eine ungewöhnliche Weise. "Ich habe noch nie erlebt, dass unser Institut so unter Druck gesetzt wurde", sagt ein Fraunhofer-Mitarbeiter.
Auch wundert er sich über den Ton der Staatsanwältin. Sie soll "ausgerastet" sein, als das Institut erklärte, bislang alle Erkenntnisse an die Bochumer Behörde geleitet zu haben. Schließlich sei der Auftrag von dort gekommen. Die Münchner Staatsanwältin habe daraufhin dem Institut untersagt, "mit Bochum zu sprechen." In einem anderen Telefonat habe es geheißen, noch vor der Landtagswahl 2008 müsse der Fall abgeschlossen sein. "Über den Zusammenhang habe ich mich sehr gewundert", sagt ein Mitarbeiter.
Die Landtagswahl war im September 2008. Zu dem Zeitpunkt dauerten die Ermittlungen gerade mal sechs Monate. Dabei gibt es keine feste Dauer für ein Ermittlungsverfahren. "Das hängt von der Schwere der Tat, den Umständen und der Zumutbarkeit ab", sagt Stefan Heilmann, Sprecher im Bayerischen Justizministerium. "Aber ein Jahr ist nie unzumutbar."
Im Frühjahr 2009 setzen die Münchner dem Fraunhofer-Institut eine letzte Frist. Bis Ostern müsse geklärt sein, ob für den Fall relevante Daten rekonstruiert werden können. Doch noch vor Ablauf der Frist wird das Verfahren eingestellt – am 7. April, still und leise. Fünf Tage vor Ostern.
Erst auf Nachfrage bei der Münchner Staatsanwaltschaft, fast zwei Monate später, erfahren die Steuerfahnder, dass das Verfahren eingestellt wurde: nach Paragraf 153a, gegen eine Zahlung von 15.000 Euro. Ein ungewöhnlicher Vorgang, sind doch die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen.
Betzl ist somit nicht vorbestraft. Auch der Landtag verzichtet auf ein Disziplinarverfahren gegen seinen Topbeamten. Stattdessen soll eigens für ihn eine neue Stelle geschaffen werden. In seiner Gehaltsklasse, ein monatliches Grundsalär von 7422 Euro steht ihm zu, gibt es nur zwei Stellen in Bayern. Und die sind besetzt.
Wo die neue Stelle angesiedelt wird, darüber streiten Landtag und Staatskanzlei. Niemand reißt sich um ihn. Offiziell geht es um das hohe Gehalt. Doch vielmehr dürfte es um die politische Sprengkraft gehen. Die zusammengesetzten Unterlagen aus dem Schredder und das restliche Material, das noch in Berlin liegt, sind zur begehrten Ware geworden. Die Staatsanwaltschaft München hat das Fraunhofer-Institut bereits aufgefordert, sie zurückzuschicken. Nicht an die Staatsanwaltschaft, sondern an Betzl. Der beharrt auf seinem Eigentum.
Auch wenn es sich nur um Prospekte handelt, wie er behauptet. Aber warum nur schreddert er Prospekte? Betzl sagt: "Ich kann zu Hause tun und lassen, was ich will."
Deutschland – korrupte scheinheilige Bananenrepublik
Man erinnert sich
Am 14. Februar 2008 begann die Jagd auf Steuersünder vor laufenden Kameras. Der damalige Post-Chef Klaus Zumwinkel wurde medienwirksam aus seiner Kölner Villa abgeführt. Sein Name befindet sich auf einer CD mit Kundendaten der liechtensteinischen LGT Bank. Der Bundesnachrichtendienst hat sie für 4,5 Mio. Euro von einem ehemaligen Mitarbeiter gekauft.
Über 700 Namen stehen auf der Daten-CD. Bekannt sind neben Zumwinkel auch der damalige oberste bayerische Datenschützer Karl Michael Betzl sowie Prinz Max von und zu Liechtenstein, der Sohn des Fürsten. Er hat seinen Wohnsitz in München und unterliegt deshalb dem deutschen Fiskus.