Italien Crash gefährdet EURO

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Anfang Oktober hat die Regierung in Rom ihren Haushaltsentwurf für 2017 an die EU-Kommission nach Brüssel geschickt, extrem spät – wie immer.

Rom feilscht um Ausnahmen, auch wie immer.

Diesmal geht es um die Bewältigung des Flüchtlingsansturms aus Afrika und dem Nahen Osten und für Infrastrukturmaßnahmen, um den Opfern der Erdbebenkatastrophen zu helfen.

Wie immer, nur die Gründe wechseln.

Wenn die EU auf ihren Sparvorschriften herumreite, werde er überlegen, ob er dem nächsten EU-Haushalt zustimme, schimpfte Renzi dann schliesslich Ende Oktober.

Alles wie immer! – Oder doch nicht wie immer?

Nein, eher nicht. Diesmal sieht alles extrem bedrohlich aus.

Im Dezember stimmen die Italiener über eine Verfassungsänderung ab. Scheitert Renzi mit seinem Referendum, könnte ihn das sein Amt kosten.

Scheitert Renzi, scheitert Italien wird vielfach behauptet. Wir denken, scheitern täte mal wieder die selbsternannte Elite, diesmal die italienische.

Scheitert Italien, scheitert Europa. Dieser Satz stimmt schon eher.

Wenige Monate nach dem Brexit-Votum wäre das für Europa eine weitere Erschütterung.

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone steht ökonomisch am Abgrund.
Italien ist wie ein Konzentrat der Euro-Krise. Denn das Land vereint alles, woran der Kontinent leidet:

  1. Bankenkrise,
  2. Wachstumsschwäche,
  3. hoffnungslose Überschuldung,
  4. hohe Arbeitslosigkeit,
  5. politische Instabilität.

Ein zweites Griechenland also? Natürlich nicht!

Ein Zusammenbruch in Italien, vergleichbar mit dem in Griechenland, wäre für die Eurozone kaum zu bewältigen:

  • Griechenland umfasst schlappe 2% der Wirtschaftsleistung des gesamten Währungsgebiets, Italien aber 16%.
  • Auf Griechenland entfallen 3% der Gesamtverschuldung der Euro-Zone, auf Italien hingegen 23%.

Die Wahrheit über Italiens finanzielle SituationAuf Euro 2,17 Billionen beziffert sich die italienische Staatsverschuldung im Oktober 2016.

Mehr als 20 Jahre bräuchte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, um die italienische Schuld aus seinen jährlichen Steuereinnahmen zu finanzieren.

„Seit Eintritt in die Währungsunion ist das italienische Bruttoinlandsprodukt in realen Größen gerechnet nicht mehr gewachsen“,

sagt Thomas Mayer, Chef des Kölner Wirtschaftsforschungsinstituts Flossbach von Storch. Die Industrieproduktion ist sogar gesunken, allein zwischen 2007 und 2013 um 23%.

„Zentrales Problem ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wirtschaft. Gemessen an der Produktivitätsentwicklung, sind die Lohnkosten zu hoch“,

sagt Ifo-Chef Clemens Fuest. In Ländern wie Spanien und Griechenland seien die Lohnstückkosten in den letzten Jahren gesunken, in Italien dagegen steigen sie weiter an.

Die anhaltende Wachstumsschwäche wirkt sich nun als brandgefährliche Bankenkrise aus. Wir berichteten darüber an anderer Stelle, insbesondere über die älteste Bank der Welt “Monte dei Paschi” – HIER.

Woher das Geld für die Bankenrettung kommen soll weiss niemand. Internationale Investoren zeigen wenig Interesse. Der italienische Staat darf gesetzlich nicht. Muss am Ende der europäische Rettungsfonds herhalten?
Zur Rettung der Banken hatte Renzi eigens einen privaten Rettungsfonds ins Leben gerufen, der jedoch noch nicht ausreichend ausgestattet ist.

Experten schätzen, dass rund 16% aller ausstehenden Kredite bei italienischen Banken notleidend sind. In absoluten Zahlen ist das ein Volumen von Euro 360 Milliarden – also mehr als die jährlichen Ausgaben des deutschen Bundeshaushalts.

„Italien erfährt, stärker noch als alle in Europa, eine vierfache Krise: eine Wirtschaftskrise, eine Schuldenkrise, eine Finanzkrise und eine Vertrauenskrise“,

fasst DIW-Chef Marcel Fratzscher die ökonomische Lage des Landes zusammen.

Es ist ein einziger Italiener, der bisher hat verhindern können, dass Italien noch nicht zusammengebrochen ist: Mario Draghi, der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB).

Draghi hat die Leitzinsen auf fast null gesetzt. Um den überschuldeten Staaten die Refinanzierung zu erleichtern, lässt er Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von Euro 80 Milliarden monatlich ankaufen.

Profiteur Nummer eins: Italien.

  • Obwohl die Staatsverschuldung extrem gestiegen ist, liegt die Rendite zehnjähriger italienischer Staatsanleihen bei lächerlichen 1,2%.
  • Zahlte der Euro-Gewinner Italien vor Einführung des Euros niedrige dreistellige Milliardenbeträge für seine Staatsschulden in Höhe von damals rund Euro 1,2 Billionen, so waren es 2015 nur Euro 68 Milliarden bei einer fast doppelt so hohen Verschuldung.

 

Draghi setzt mit seiner Geldpolitik, einem finanziellen Doping mit prinzipiell verbotenen Mitteln, den Markt einfach außer Kraft.
Er verhindert die normale und gebotene Abstrafung eines hoffnungslos überschuldeten Landes durch die Investoren.

Kann das auf Dauer gut gehen? Kann man einen plattfüssigen Hundermeter-Sprinter auf Dauer durch Extremdoping in der olympischen Eliteklasse halten?

Auf fast Euro 3,5 Billionen ist die Bilanzsumme der EZB inzwischen angewachsen. Italienische Staatspapiere im Wert von Euro 240 Milliarden hat der italienische Zampano inzwischen ankaufen lassen. Es werden allmonatlich mehr. Hinzu kommen die rund Euro 100 Milliarden, die auch noch die italienische Notenbank auf eigene Rechnung gekauft hat.

„Auch wenn die langsam anziehenden Inflationsraten in der Eurozone einen ersten Schritt in Richtung einer Normalisierung der Geldpolitik erlauben würde, die EZB kann kaum anders handeln“,

heißt es in Notenbankkreisen. Jedem Zentralbanker sei klar, dass

„selbst ein noch so vorsichtiges Tapering die langfristigen Kapitalmarktzinsen nach oben treiben würde“.

Der größte Leidtragende einer solchen Entwicklung: Italien, der Schuldenmeister Nummer 1 in Europa.

Selbst wenn Draghi wollte, er kann gar nicht mehr anders handeln, wenn die Währungsunion nicht zusammenbrechen soll.:

„whatever it takes“.

Im Gegensatz zu Griechenland kann

„Italien nicht von den anderen Euro-Ländern mit Transfers durchgeschleppt werden“

sagt Ökonom Mayer.

Das würde deren wirtschaftliche Kapazität überfordern. Ganz zu schweigen von den politischen Reaktionen bei allen Anti-Europa-Parteien, die ein Rettungsprogramm für Italien auslösen könnte.

Eine Rettung im Stile Griechenlands ist allein wegen der schieren Größe Italiens und seiner Rekordschulden nicht denkbar.
Das wagt niemand offen auszusprechen – nicht in Brüssel, nicht in Berlin. Aber es ist ein offenes Geheimnis.

Und das ist auch der Grund, warum Renzi mit unglaublichem Gleichmut den anderen Europäern auf den Kopf rumtrampeln kann.

  • Dass Renzi mit erstaunlicher Regelmäßigkeit die Brüsseler Sparziele verfehlt, sei es drum.
  • Dass er mit erstaunlicher Penetranz die Sparauflagen runterverhandelt – sei es drum.

 

Sowohl Berlin als auch Brüssel wissen, dass sie ein politisch stabiles Italien brauchen, nur allein um Europa zusammenzuhalten.

Das nutzt Renzi aus. Er schimpft über Merkels „obsessive Sparpolitik, die Europa in den Ruin“ führe und allenfalls Deutschland helfe. Er beklagt, die „Exportüberschüsse nördlicher Länder“, die die Gesundung der südlichen Länder verhindere. Er fordert einen Wachstumspakt für Europa und eine gemeinsame europäische Einlagensicherung für alle Banken – ohne zu sagen, was das bedeutet: Nämlich noch mehr öffentlich Schulden – und vor allem die Vergemeinschaftung dieser Schulden auf alle Bürger in der riesengrossen Eurozone – nicht zuletzt auf die deutschen Bürger.

Renzi ist mit diesen Politikverständnis in Europa alles andere als isoliert. Beim jüngsten EU-Gipfel in Bratislava formierte sich eine neue Interessengemeinschaft – im Norden Europas als “Club Med” verspottet. Dazu gehören neben Italien unter anderen

  • Frankreich,
  • Griechenland,
  • Spanien,
  • Zypern,
  • Malta
  • und Portugal muss man nach den Regierungswechsel im vergangenen Jahr auch noch dazuzählen. Der Chef der Regierungspartei, Carlos Cesar, erklärte im Radiosender TSF in der letzten Oktoberwoche: „Wie jeder weiß, ist der deutsche Finanzminister ein Brandstifter, der sich als Feuerwehrmann zu präsentieren versucht“.

 

Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras hatte die Regierungschefs der wichtigsten Mittelmeerstaaten zuvor nach Athen eingeladen, um die gemeinsamen Interessen in Europa wirksamer zu vertreten.

„Wir repräsentieren mehr als die Hälfte der Europäischen Union“,

sagte Renzi dort.

„Das ist ein Gewicht.“

Und dieses Gewicht wird führen zu

  1. noch mehr Schulden,
  2. noch mehr Konjunkturprogrammen,
  3. noch mehr Unterstützung durch die EZB.

Das kann Realität werden.

  • Aber wie lange kann das gutgehen?
  • Wann lässt sich eine Währungsreform nicht mehr verhindern?

 

Diese kann aber auch noch schneller kommen, wenn bald auch in Italien die selbsternannten Eliten stürzen.

Italiens systemische Krise

Die politische Klasse Italiens ist größtenteils diskreditiert und die Bewahrer des Status quo, die linken wie die rechten, kämpfen mit Zähnen und Klauen jeder gegen jeden.
Nicht selten wurden Premierminister gestürzt, weil ein Abgeordneter einer Splitterpartei gegen die eigene Regierung gestimmt hat.

Ein solches Schicksal könnte auch Renzi drohen. Seine größten Feinde sitzen in der eigenen Partei, im Partito Democratico (PD). Einer der Wortführer ist Massimo D’Alema, der selbst eine Zeit lang Premier und auch Außenminister war. Er stimme im kommenden Dezember gegen die Verfassungsreform, sagt er, weil sie Italien keinen Fortschritt bringen werde. Doch Parteikollegen erzählen, dass er nur einfach ungehalten und wütend auf Matteo Renzi ist, weil er ihm keinen adäquaten Posten in der Regierung oder in Brüssel angeboten hat.

Tatsächlich ist die angestrebte Verfassungsreform ein fragwürdiges Unternehmen.
Den wesentlichen Input bei der Formulierung der Verfassungsreform hat das US-Bankhaus Bankhaus JP Morgan geliefert. JP Morgan hat die Verfassungen vieler südeuropäischer Länder als Hindernisse ausgemacht.
Man will der Regierung Renzi die Möglichkeit geben durchzuregieren und Gesetze durchzudrücken, die – so die Hoffnung – der Wirtschaftselite zugute kommen. Wenn man das sieht wird klar, was mit „Effizienz“ wirklich gemeint ist, von der Renzi im Rahmen der Verfassungsreform spricht. Der Graben zwischen den Politikern – die man in Italien die „Kaste“ nennt – und einem Großteil der Bevölkerung wird immer tiefer.
Umfragen zufolge schickt sich der “MoVimento 5 Stelle” an, in Italien die stärkste Partei zu werden.

Niemand sollte sich vor diesem Hintergrund darüber wundern.

„MoVimento 5 Stelle“ könnte Renzi gefährlich werden. Sollte die Volksabstimmung über die Verfassungsreform negativ ausgehen, dann wäre Renzi so geschwächt, dass ihm wohl nur der Rücktritt bliebe.

Spätestens dann würde das bislang Undenkbare denkbar.

„Sollte Renzi am 4. Dezember verlieren, dürfte Italien auf einen Austritt aus der Währungsunion zusteuern“,

prophezeit Ökonom Mayer.

„Angesichts der Länge der Krise und fehlenden Hoffnungen, dass sie durch Strukturreformen überwunden werden könnte“,

werde diese Frage zunehmend dringlicher. Und auch der US-Ökonom Joseph Stiglitz ist sich sicher:

„Italien und der Euro, das funktioniert nicht“.

Ausgerechnet an diesem Italien entscheidet sich die Zukunft der Währungsunion.

Ausgerechnet an jenem Land also, das der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl gegen heftigen Widerstand unbedingt als Gründungsmitglied in die Währungsunion aufnehmen wollte, obwohl das Land 1999 das 60%-Ziel für die Staatsverschuldung schon damals bei weitem verfehlte.

„Ein Staatsbankrott Italiens würde die Lehman Pleite von 2008 klein erscheinen lassen und die Wirtschaft Europas und Deutschlands unweigerlich in eine tiefe Depression treiben“,

sagt DIW-Chef Marcel Fratzscher. Auch Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, warnt:

„Ein Scheitern der europäischen Politik in Italien wäre verheerend. Jetzt, da der EU ihr politisches Kapital in den Händen davonschmilzt, kann das europäische Projekt keine weiteren Rückschläge vertragen.“

Noch drastischer formuliert es Thomas Mayer, Chef des Kölner Wirtschaftsforschungsinstituts Flossbach von Storch:

„Nach der Brexit-Entscheidung kämpft Europa um seine Existenz. Das unsägliche Schauspiel um das kanadisch-europäische Freihandelsabkommen hat eine weitere Runde in diesem Existenzkampf eingeläutet. Käme jetzt noch eine gewaschene Eurokrise dazu, könnte der Patient Europa endgültig ins Koma fallen.“

Zwei Szenarien sind vorstellbar:

  1. Renzi überlebt noch einmal bis zu den nächsten regulären Wahlen, und der Club Med stürzt die Eurozone in eine noch verheerendere Verschuldung. Deren Rechnung trägt am Ende der Bürger im nördlichen Teil Europas, nicht zuletzt der Deutsche.
  2. Die systemische Krise in Italien nimmt schon ab Dezember ihren Lauf und führt 2017 zum Zusammenbruch der Euro-Zone – mit sämtlichen finanziellen Katastrophen. Denn wer anders als die Bürger haften am Ende mit ihrem Vermögen?

Starren wie das Kaninchen auf die Schlange – oder handeln?