Grippeviren im Nachkriegsdeutschland

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Wegen der sogenannten “Hongkong-Grippe” beklagte die Bundesrepublik Deutschland wohl deutlich mehr 50.000 Tote – die statistischen Daten sind nicht wirklich zuverlässig – sowie zusätzlich einige tausend Opfer in der DDR. Das war zwischen den Jahren 1968 und 1970.

Weltweit starben im Zeitraum von 1968 bis 1970 ca. eine Million Menschen daran. Andere Zahlen sprechen von 750.000 bis 2 Millionen Toten. In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) gab es im Winterhalbjahr 1969/70 die schwersten Ausbrüche. Im Nachhinein wurde eine Übersterblichkeit von rund 40.000 Toten für das Gebiet der Bundesrepublik berechnet.

Wegen der nahen Verwandtschaft mit der “Asiatischen Grippe” von 1957 war der Verlauf der Hongkong-Grippe milder wegen der Immunabwehr bei den meisten Menschen, die noch Antikörper gegen den ähnlichen Influenzatyp H2N2 enthielt.

Womit wir schon bei der zweiten Pandemie angelangt sind, die Deutschland nach dem 2. Weltkrieg traf.

Diese andere Pandemie war die sogenannte “Asiatische Grippe” gewesen, die 10 Jahre zuvor viele Opfer in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR gefordert hatte. Genaue Zahlen sind nicht zu finden. Die Zahl von 30.000 Toten dürfte deutlich untertrieben sein. Denn der “Asiatischen Grippe” fielen 1957 und 1958 weltweit Schätzungen zufolge ein bis zwei Millionen Menschen zum Opfer.

Niemand kam damals auf die Idee, deshalb das Leben wesentlich zu ändern oder gar das Wirtschaftssystem zu zerschlagen. Das Leben ging normal weiter.

Der Autor dieser Zeilen erinnert sich noch gut an die Zeit der “Hongkong-Grippe”. Da kursierte halt ein Grippevirus, mehr nicht. Es gab keinen Grund zur Aufregung.

  • Wichtiger war, 1968 im Prager Frühling Alexander Dubček vor Ort zu unterstützen, d.h. Walter Ulbricht – “Spitzbart” – in Karlsbad bei dem Treffen mit Dubček auszupfeifen. Eine Woche später rollten dann die Panzer. Da ging es drei Tage später schliesslich von Prag aus schweren Herzens darum, über Bratislava (Pressburg) nach Österreich auszureisen, da man ja nicht wusste, wie weit die NVA der DDR schon vorgerückt war. Was interessierte da irgendsoeine “Hongkong-Grippe”?
  • 1969 ist in Erinnerung als erster Besuch in Griechenland: Mit der „Ente“ und zwei Freunden über den “Autoput” durch Jugoslawien in dieses herrliche Land, damals seit zwei Jahren regiert von der Militärjunta unter Papadopoulos. König Konstantin war weiterhin im Amt. In Mykene und anderenorts konnten wir keine “Hongkong-Grippe” erkennen, auch Tillmann, unser Althistoriker nicht.
  • 1970: Da brachte mich dieselbe „Ente“ zusammen mit einem anderen Freund nach Skandinawien, 11.000 km in sechs Wochen mit 16 PS. In finnisch Lappland am Inarisee konnte man – natürlich nur nach Besuch der Sauna – bei nur 12ºC Wassertemperatur unter der Mitternachtssonne 20 Minuten lang schwimmen. Ein erstaunliches Erlebnis für eine Person, die unter 25ºC Wassertemperatur nie auch nur den grossen Zeh ins kühle Nass hält. Dem Grippevirus war das Wasser augenscheinlich zu kalt, die Sauna bei 120ºC zu heiss.

 

Virus? – Hat keine nachhaltige Erinnerung entstehen lassen.

Und die “Asiatische Grippe”? Da ist nur die Erinnerung geblieben an bittere Tränen eines kleinen Jungen, als Deutschland 1958 im WM-Halbfinale gegen Schweden im Skandalspiel von Göteborg verschoben worden ist. Das wäre heutzutage nicht geschehen. Diese WM hätte unter den gegenwärtigen Umständen gar nicht erst stattgefunden.

Politiker und Behörden in Bund und Ländern reagierten damals mit Gelassenheit. Warnungen wurden als Dramatisierung betrachtet.

Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, die öffentliche Meinung empörte sich nicht über Kranke und Tote, sondern wollte die Früchte des Wiederaufbaus gesichert sehen. Im Sommer 1957 hatte die Regierung von Kanzler Konrad Adenauer die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter eingeführt. Das war doch was!

Impfempfehlungen der WHO stießen zehn Jahre später in der Bundesrepublik auf erheblichen Widerstand. Das Bundesgesundheitsamt verzichtete ausdrücklich auf Impfempfehlungen. Gesundheitsministerin Käte Strobel (SPD) weigerte sich 1969, die anlaufende Influenzawelle aus Hong Kong zu dramatisieren.

Die DDR-Spitze um SED-Chef Walter Ulbricht setzte das Thema 1969/70 auf die Tagesordnung. Die Empfehlung:

„Huste, puste, niese nicht –

andern Leuten ins Gesicht“.

Tausende von Menschen erkrankten seinerzeit noch an Tuberkulose oder Kinderlähmung. Da fiel die Influenza, die ohnehin stetig wiederkehrte – mal stärker, mal schwächer – aus Sicht vieler nicht sonderlich ins Gewicht, auch wenn sie als Epidemie auftrat.

Die Leute waren es gewohnt, sagt Historiker Thießen,

„mit den Toten der Grippe zu leben“.

Ein Grippevirus war damals einfach nichts so aufregendes. Erfahrungen von Krieg und Nachkriegszeit mit Gefallenen, Vermissten, Ermordeten war einfach noch zu gegenwärtig. Ausserdem starben die Menschen früher: bis 1965 erreichten Männer im Durchschnitt nicht einmal das gesetzliche Rentenalter von 65 Jahren.

So betrachtet wirkt die Gegenwart wie verweichlichtes Wohlstandsgejammer.

Es gibt nur wenige Stimmen, wie die von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble.

Er warnte angesichts der Einschränkungen vieler Grundrechte davor, dem Schutz von Leben in der Corona-Krise alles unterzuordnen.

„Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig“,

sagte er dem „Tagesspiegel“ am 26. April.

„Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gibt, dann ist das die Würde des Menschen. Die ist unantastbar. Aber sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen.“

Und weiter:

„Mit allen Vorbelastungen und bei meinem Alter bin ich Hochrisikogruppe…Meine Angst ist aber begrenzt. Wir sterben alle.“

Der grosse Katzenjammer wird kommen, wenn man begreift, was man gegenwärtig unter Ausschaltung der Grosshirnrinde alles zertrümmert:

Selbstmord aus Angst vor dem Tod.