Glaubt man den Verlautbarungen aus deutschen Verhandlungskreisen, haben sich die Finanzminister der Eurozone auf ganzer Linie gegen Griechenland durchgesetzt. „Die Eurogruppe stand weiter vereint gegen Athen, unsere harte Linie hat sich ausgezahlt“, hieß es auf deutscher Seite.
Doch ein genauer Blick schon in die Details der Vereinbarungen im ersten Quartal 2015läßt Zweifel an der These aufkommen, daß sich die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble propagierte harte Spar- und Reformpolitik durchgesetzt hatte.
Zwar werden die Finanzhilfen aus dem laufenden Programm nur um vier statt der von Athen geforderten sechs Monate verlängert. Im Gegenzug verpflichtet sich die Syriza Regierung von Alexis Tsipras, Reformen nicht ohne Absprache zurückzunehmen. Im Umkehrschluss bedeutet das jedoch, daß Tsipras Reformen durchaus zurücknehmen kann, wenn er dies nur vorher mit den Geldgebern abgesprochen hat.
Athen dürfte diesen Hebel nutzen, um in den anstehenden Verhandlungen mit der EU-Kommission, der EZB und dem Internationalem Währungsfonds (IWF) einzelne Maßnahmen des von der Vorgängerregierung unterschriebenen Reformprogramms zu revidieren.
Erste Anzeichen dafür könnten sich auf der Reformliste finden, die Athen bis Montag erstellen muß. Die Geldgeber wollen diese Liste bis Ende April prüfen, bevor sie die nächste Hilfstranche an Athen überweisen. Tsipras hat bis dahin also genug Zeit, den Geldgebern Zugeständnisse abzuringen, etwa einen höheren Mindestlohn oder höhere Renten.
Dem griechischen Regierungschef dürfte nicht entgangen sein, daß die Front der Geldgeber in den vergangenen Tagen keineswegs so geschlossen hinter Deutschland stand wie Schäuble das darstellt. Frankreich und Italien empfinden durchaus Sympathie für Athens Wunsch, die Reformen auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialsystemen zurückzudrehen oder zu verwässern.
Auch bei der dringend erforderlichen Sanierung des Staatshaushalts eröffnet die Vereinbarung den Griechen Tür und Tor, die Sparpolitik zu unterlaufen.
Zwar verpflichtet sich Athen, keine Maßnahmen zu ergreifen, die die finanzielle Stabilität des Landes gefährden. Zugleich bieten die Geldgeber Griechenland aber an, Verhandlungen über die Höhe des für dieses Jahr vereinbarten Primärüberschusses zu führen. Faktisch bedeutet dies, daß sie die Syriza-Regierung belohnen.
Machen die Geldgeber Athen Zugeständnisse bei der Konsolidierung des Staatshaushalts, belohnen sie nicht nur die Politik von Tsipras. Sie senden auch ein Signal an die anderen Länder der Währungsunion.
Warum, werden sich die Regierungen in Rom, Paris und Madrid fragen, sollen wir sparen, wenn Athen höhere Defizite machen darf? So verwässern die Geldgeber den Konsolidierungskurs in der gesamten Währungsunion
Schwellen die Haushaltdsdefizite an, wächst auch der Schuldenberg rasant. Angesichts des mickrigen Wirtschaftswachstum lassen sich die Schulden nur noch durch Staatsbankrotte, künstliche Zinsdrückerei und hohe Inflation abtragen. Da die Politiker Staatsbankrotte politisch zum Tabu erklärt haben, wächst der Druck auf die EZB, die Schulden durch Niedrigzinsen und hohe Inflationsraten abzuschmelzen.
Dadurch zahlen letztlich die Bürger aller Euroländer die Zeche für die Abkehr von der Sparpolitik, die mit den Zugeständnissen gegenüber Athen verbunden ist. Der Kompromiss von Brüssel ist faul – so faul, daß darüber auch die Siegerrhetorik der Geberländer nicht hinwegtäuschen kann.
Am 24. Februar bekam Tsipras seine Brückenfinanzierung für weitere 4 Monate, also das, was er wollte. Und was hat er dafür gegeben?
IWF-Chefin Christine Lagarde sagte, die Pläne der Regierung in Athen reichten aus, um das Hilfsprogramm fortzusetzen. Sie bemängelte aber, daß die Vorschläge bislang nicht sehr konkret seien.
Aber das ist absichtlich geschehen:
Die griechischen Reformpläne sind nach den Worten des griechischen Finanzministers Giannis Varoufakis in Abstimmung mit anderen Euroländern absichtlich unbestimmt formuliert. Sonst würden sie nicht die notwendige Zustimmung der Parlamente der Euroländer erhalten, sagte er am Freitag im Fernsehen. Er bezeichnete dieses Vorgehen als „produktive Undeutlichkeit“.
Varoufakis führte nach eigenen Angaben vor der Einigung mit den Partnern der Eurozone beim jüngsten Eurogruppen-Treffen in Brüssel ein wichtiges Gespräch. „Ich sage Ihnen nicht, mit wem“, fügte der Finanzminister hinzu. Dabei sei ihm gesagt worden, dass das bisherige Ziel des griechischen Sparprogramms, einen primären Haushaltsüberschuss von 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erreichen, unrealistisch sei.
„Wenn wir da eine (kleinere) Zahl (in das Dokument) schreiben, kriegen wir es nicht durch (die Parlamente). Wollen wir nicht eine unklare Umschreibung benutzen?“,
hätten die Finanzminister der anderen Eurolandstaaten nach Angaben von Varoufakis vorgeschlagen. Dem habe er zugestimmt und so sei die Reformliste entstanden.
Unserer Bewertung stimmt im Spiegel vom 26. Februar 2015 auch Jakob Augstein zu:
„Der neue griechische Premier Alexis Tsipras und sein vielgewandter Freund Varoufakis haben sich in den jüngsten Verhandlungen mit der Euro-Gruppe in Wahrheit in viel größerem Umfang durchgesetzt, als die deutsche Öffentlichkeit wahrhaben will.
Griechenland wollte eine Verlängerung der Finanzhilfen – Griechenland bekommt eine Verlängerung.
Griechenland wollte die Last der Maßnahmen abschütteln, die von der Troika diktiert wurden – nun darf Griechenland tatsächlich einen neuen Katalog von Reformen ausarbeiten.
Griechenland wollte sich von dem Troika-Diktakt befreien, einen Haushaltsüberschuss erwirtschaften zu müssen – nun wird dieser Überschuss tatsächlich unter solche Bedingungen gestellt, die den Druck von den Griechen nehmen.
Griechenland wollte endlich wieder Herr im eigenen Haus sein – nun dürfen die Griechen tatsächlich darauf hoffen, dass von weiteren Privatisierungen und Stellenabbau abgesehen wird.“
Da haben wir also die Antwort. Heiße Luft hat er gegeben! 1:0 für Griechenland. Mit diesem Ergebnis wurde Griechenland einst Europameister im Fußball.
Die Akropolis am Eiffelturm
An jenem 24. Februar gab es auch noch Neuigkeiten zu Frankreich.
Frankreich hat stets Probleme mit seinem Staatshaushalt. Bereits 2009 hatte die EU-Kommission erstmals ein überhöhtes Staatsdefizit im zweitgrößten Euro-Staat festgestellt. Stets wiederholt sich das identische Szenario einer französischen Defizitquote deutlich oberhalb des EU-Grenzwerts von 3% und eine EU-Kommission, die darüber großzügig hinwegsieht. Zweimal hat die Brüsseler Behörde Paris bereits mehr Zeit eingeräumt für die Haushaltssanierung. Ende Februar 2015 verlangt Frankreich also eine dritte Fristverlängerung – und zwar um drei Jahre bis 2018.
Tsipras und Hollande werden sich bestimmt demnächst einmal in gemütlicher Runde privat treffen bei Souvlaki und Champagner. Die Spesenrechnung bezahlt die Eurogruppe.
Die Euro-Zone ist auf dem Weg, die Schulden aller Mitgliedsländer zu vergemeinschaften.
Man kann darüber diskutieren, ob das gut ist oder schlecht. Man muß aber dem Bürger reinen Wein einschenken.