Ist die Renaissance der Sicherheit politisch eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Schutz ist die Ur-Aufgabe des Staates, elementarer als alle Umverteilung und Wohlfahrt: Vor der SPD kam Thomas Hobbes, der Philosoph aus dem englischen Bürgerkrieg des 17. Jahrhunderts, der in der absoluten Autorität des Souveräns die Garantie gegen das Einander-Abschlachten der Menschen sah. Ein Staat – auch das hat Hobbes beschrieben –, der keine Sicherheit mehr zu geben vermag, verliert zugleich den Anspruch auf Gehorsam. Die Hilfspakete, die jetzt geschnürt wurden, die gesetzgeberischen Blitzaktionen, die Notstandsdringlichkeit, wie sie sonst nur für den Krieg typisch ist – das alles sind daher auch dramatische Szenen aus dem Kampf des Staates um seine Legitimität in den Augen der Bürger, um die Anerkennung seiner Leistungsfähigkeit und Daseinsberechtigung. Mit spießiger Harmlosigkeit hat das auf den ersten Blick nichts zu tun, und ein Scheitern wie nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 müßte zu einer schweren Erschütterung der politischen Ordnung führen.
Die Schattenseite der neuen Sehnsucht nach Sicherheit ist die Gefahr der Erstarrung, der Sichtbeschränkung und Engherzigkeit verbunden mit Neidgefühlen.
Verlangen nach Schutz, das heißt auch Neigung zum Protektionismus, in vielerlei Gestalt – gegen Waren aus Billiglohnländern, gegen fremde Menschen wie Einwanderer, womöglich gegen ungewohnte Ideen. Der Hang zum Sich-Abschotten ist der Punkt, an dem sich rechte und linke Marktkritik treffen. Das Sicherheitsbedürfnis hat seine Opfer wie der Freiheitsglaube auch – nicht “die da unten”, wie im radikalen Liberalismus, sondern “die da draußen”.
Schöner und moralisch höherstehend ist diese Art der Marginalisierung ganz bestimmt nicht. Die wilde Zeit des Finanzkapitalismus ist vorbei.
Die Gefahr für die Zukunft ist eine graue, bleierne Zeit, eine Zeit der heruntergelassenen Rolläden, der Würdelosigkeit für den selbstbewußten Individualisten.
Wir sind der Orwell´schen Schreckensvision nähergekommen in den verschreckten Wohlstandsnationen Europas und jetzt auch vermehrt in den USA.
Der “Anarch” im Sinne Ernst Jüngers kann nur noch seinen “Waldspaziergang” beginnen. Der selbständige, seine Unabhängigkeit betonende Einzelgänger, der nicht am Rockzipfel der “Starken Mama Staat” verkümmern will, verliert in den klassischen Industrienationen endgültig seine Heimat. Die Würde, die Selbstachtung sind verdächtige Erscheinungsformen, fast schon terroristischer Natur, die die einvernehmliche Sicherheit allein durch ihre sichtbare Existenz stören. Sie stören im “Volksheim”. Sie sind nicht den Sicherheitsstandards angepaßt, somit eine Gefährdung der inneren Ordnung. Sicherheit im Volksheim erfordert, detaillierteste Kenntnis einer jeden Person bis in den intimsten Bereich hinein, in den Bereich der Finanzen ohnehin. Den möglichen Anarchen muß man dingfest machen, das gebietet das Streben nach Sicherheit und wohlig miefiger Geborgenheit. Was man braucht, wird einem im Volksheim schließlich von Mama Angela zugeteilt. Mama ist gerecht, niemand darf zuviel erhalten, wer zuviel hat, dem wird es abgenommen, dazu ist das Steuerrecht da. Dabei geht es nicht um Sozialismus, es geht um das behütet bleiben, um das neue Gemeinschaftsgefühl – den "Mehltau der gemeinsamen Sicherheit". Es geht um Abwehr der bösen Umwelt draußen vor dem Tor, in die der Anarch hinaustreten will und dabei dieses Tor nach draußen auch noch öffnen will – für einen blöden Waldspaziergang. Zwar nur einen Spalt breit, aber gefährlich genug. Wehret ihm!
Für den “Anarchen”, dem ausgeprägten Individualisten, der von sich und seiner eigenen Stärke überzeugt ist, der vom Staat nichts erwartet, folgerichtig dem Staat aber auch nichts geben will, der nicht auf Macht aus ist sondern nur seine Ruhe vor Bevormundung haben will – für diesen “Anarchen” ist in diesen "Staaten hinter Mutter Angelas Tor" kein Raum mehr.
In diesen Staaten nicht mehr.
Der Waldspaziergang führt in ein Land wie Panamá – oder der Anarch verkümmert.