Und "Stabilisierung" und "Wachstum" und "Nachhaltigkeit". Das sind heilige Wörter in der Welt
der Bank,
denn die Bank glaubt an Wettbewerb und an das Ende des Protektionismus. Was die reiche Bank der armen Welt bringen will, sind Demokratie und ein freier Markt. Der Druck ist kaum spürbar, die Tilgung fällig in ferner Zukunft, die Bank kann auf die höflichste Weise erbarmungslos sein.
Die Weltbank sitzt in Washington. Sie verleiht bis zu 25 Milliarden Dollar pro Jahr, um Entwicklung in armen Ländern zu fördern, sie verlangt dafür den Aufbau von Zivilgesellschaften, das Ende von Korruption, sogar Umweltschutz, inzwischen. Die Weltbank gibt Starthilfe, und sie ist Meinungsmacht, politische Kraft, sie ist der größte multilaterale Geldgeber aller Entwicklungsländer und immer auch erziehende, mahnende, strafende Institution.
Weltbanker reden in Chiffren: "Nachhaltig wird die hohe MMR die Ziele des RFTF unterminieren, was die Gebergemeinschaft für das I-PRSP beunruhigt." 10.000 Männer und Frauen, Bürokraten und Technokraten, wissen, dass dieses Papier die Sterberate unter Müttern thematisiert.
Die Weltbank ist eine Gruppe von fünf Organisationen:
- Es gibt das Zentrum des Imperiums, das sind die
- "Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung" und die
- "Internationale Entwicklungsorganisation", die billige Kredite an die ärmsten Länder vergibt;
- die "Internationale Finanz-Corporation" gibt es, die privaten Unternehmen Geld leiht, um ebendiesen sogenannten privaten Sektor zu fördern;
- es gibt die "Multilaterale Investitionsgarantie-Agentur", die private Investitionen in Krisengebieten gegen Risiken wie Enteignung oder Kriegsschäden absichert;
- und das "Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten" schlichtet zwischen Investoren und Regierungen.
Es ist ein kompliziertes Konstrukt, aber das muss es sein. Globalisierung ist kompliziert, die Zeit, die Welt ist kompliziert und darum auch ihre Bank.
Die besorgt sich ihr Geld auf internationalen Kapitalmärkten und von reichen Mitgliedern, dafür bekommen die Mitglieder Einfluss in der Ferne. Gewandelt haben sich die Ziele. Am Anfang, nach der Gründung, glaubten sie bei der Bank an die Entwicklungstheorie, die in Europa funktioniert hatte. Wachstum schafft Wohlstand, beseitigt Armut: Das war die reine Lehre jener, die predigen, dass die Welt steuern könne, wer ihre Wirtschaft lenke.
Dann wurden die Ärmsten noch ärmer, trotz aller Theorie.
Man kann die 62 Jahre der Weltbank in drei wesentliche Phasen aufteilen:
- Zunächst war sie eine Institution, die in Washington saß, und hin und wieder flogen ihre Leute hinaus in die Welt, weil sich die Firma damals als Projektbank verstand.
- Dann wurden die Landesdirektoren erfunden, die hinausgeschickt wurden und blieben, um "field offices" aufzubauen, das war das bipolare Modell der neunziger Jahre, die Bank war eine Länderbank.
- Und nun hat das holistische Denken begonnen: Mitarbeiter der Weltbank versuchen, überall gleichzeitig zu sein, das Detail und immer zugleich die ganze Welt zu sehen, sie könnten überall leben, sind immer erreichbar, da sie die Bank und sich selbst als globale Instrumente begreifen.
Systeme wie dieses gebären ständig neue Organigramme und A-, B- und C-Pläne und natürlich Kostenanalysen und Überprüfungen der Kostenanalysen. Täglich hinterfragen sie die eigene Struktur, sie werden mal zentral und dann wieder dezentral geführt – aber Schwächen übersehen sie trotzdem ganz gern und am liebsten die eigenen.
Wenn der Plan an die Stelle der Wirklichkeit tritt, schlagen Daten die Wahrheit; zur Welt der Bank gehören Euphemismen und Übertreibungen. Es ist alles ein Spiel, es geht darum, wer wie schnell wie viel Geld besorgen kann. Und wer es hat, muss es ausgeben. Jeder Teil der Bank konkurriert mit anderen Teilen, jeder will sein Projekt durchbringen – wie soll es da gelingen, Geld stets dorthin zu lenken, wo es optimal eingesetzt wäre? Das Exekutivdirektorium entscheidet über die Kredite, ein Flaschenhals – viele bei der Bank sehnen sich nach höherem Tempo oder einem Sicherheitsrat für die Weltwirtschaft.
Weltbanker sind Grübler. Die in der Welt fragen sich: Was wird aus der Welt? Die in Washington fragen sich: Was wird aus uns? Alle fragen: Was will "Er"?
Denn so nennen sie ihn:
"Himself" bzw. "PW".
Paul Wolfowitz, 63, war stellvertretender Verteidigungsminister, er wollte den Irak-Krieg, bekam ihn und entwarf ihn. George W. Bush sagte ihm, er könne wählen zwischen dem Botschafterposten bei den Vereinten Nationen und der Bank; Wolfowitz nahm die Bank, und dort glaubten sie an einen Witz. Dann glaubten sie, sie sollten zerschlagen werden, Wolfowitz sei von Bush gesandt, um sie abzuwickeln.
In Washington entzieht er sich Medien, darum kann man Wolfowitz am besten auf Reisen erleben, zum Beispiel als er zur Jahrestagung von Weltbank und IWF nach Singapur fliegt. Die Bank bucht Lufthansa, British Airways, United und Air France, 24 000 Menschen kommen nach Singapur, Minister, Bankiers, Delegierte. Es gibt Pressezentrum und Hinterzimmer, Säle und Restaurants, Hostessen weisen den Weg, und Klimaanlagen kühlen die Luft von Singapur. Auf "Level 4" sitzen hinter Stellwänden und vor Plastikbechern mit Espresso die Akkreditierten und führen im Minutentakt Verhandlungen, und auf "Level 6" sitzen die Wichtigen.
Paul Wolfowitz, Präsident mit Segelohren und braunen Augen, die silbergrauen Haare scharf gescheitelt, beginnt die Tage von Singapur mit Reportern, er sagt, was er überall sagt: "Wir leben in Fünfsternehotels, aber zu viele Menschen leben von einem Dollar pro Tag." Das ist einer seiner liebsten Sätze. Wolfowitz blickt Gesprächspartner selten an. Interviews mit ihm sind belanglos, Floskeln und Freundlichkeit; konzentriert sitzt er da, etwas müde vielleicht, er bestellt Tee und Wasser und trinkt nichts. Tief sind die Stirnfalten.
Seine Prioritäten, sagt er, seien Afrika und der Kampf gegen Korruption, darum gehe es nun, und es gehe außerdem darum, die Budgets zu erhöhen, es gehe darum, all jene Staatschefs, die vor einem Jahr in Gleneagles Afrika einen Schuldenerlass und eine Menge Geld versprachen, dazu zu bringen, "endlich zu liefern". Kratzig und vernuschelt ist seine Stimme.
Dann steht er auf, 12.30 Uhr, "Town Hall Meeting", um den Tisch herum sitzen Vertreter der NGOs, und Wolfowitz sagt, seine beiden ältesten Kinder hätten für NGOs gearbeitet, "ich bin sehr, sehr stolz auf sie". Er weiß, wie man solche Runden einfängt.
Es ist 19 Uhr, und auf Paul Wolfowitz wartet Heidemarie Wieczorek-Zeul, deutsche Entwicklungshilfeministerin, eine Viertelstunde ist eingeplant hier oben in 6E324, es geht jetzt um Frauen, den "Faktor Frau", wie Weltbanker sagen, männliche.
Wolfowitz braucht nie lange, um sich einzufinden, er weiß, dass Kameras laufen, er sagt, Frauen seien "ein Entwicklungsthema, ein Thema der Menschheit", denn "Mütter, die besser ausgebildet sind, führen zu besser ausgebildeten Menschen, Männern und Frauen".
Ein ungleiches Paar: Wieczorek-Zeul leuchtet, rot die Haare, rot die Lippen, Wolfowitz sitzt dort in Grau, halslos, das Sakko rutscht hinten hoch und beult sich an den Schultern. Er muss dann weiter, und beide nicken und sagen: "See you."
Wenn man mit der Ministerin dann noch eine Weile zusammensitzt, trinkt sie Mineralwasser aus der Flasche und sagt: "Die Weltbank ist eines der wichtigsten Instrumente, die es gibt, um globale Politik zu gestalten." Wolfowitz habe das gelernt, so Wieczorek-Zeul, und er halte Kurs; er kehre auch nicht zurück zu jenem "Washington Consensus" der Achtziger, der Liberalisierung zum einzigen Credo erhoben habe, er meine ernst, was er sage, über Afrika, Frauen, das Klima. Amerikaner dagegen, besonders solche, die im Kongress sitzen, schimpfen immer mal wieder auf die Bank, auf hohe Gehälter und Reisekosten. Das gehört zum Spiel, ein Ritual internationaler Politik, Kongressabgeordnete halten nicht viel vom Multilateralismus.
Was tatsächlich schieflief in der Vergangenheit, lag im Wesen einer Entwicklungspolitik, die auf Kredite baut: Es gab Phasen, in denen die Rückzahlungen der Armen an die Bank höher waren als die Zahlungen der Bank an die Armen. Und was verheerend schieflief, das waren diese monströsen Projekte in der Dritten Welt, Flughäfen, Kraftwerke und Staudämme, welche in Washington entworfen worden waren und die Menschen, um die es ging, nicht einkalkuliert hatten.
Hunderttausende wurden vertrieben. Fischer mussten Bauern werden, und Bauern, die nicht schwimmen konnten, waren auf einmal Fischer. In der Vergangenheit, das sagt John Page, Chefökonom für Afrika, habe die Bank mehr als heute versucht, Regierungen in die von der Bank als richtig empfundene Richtung zu schieben; "aber wir können den Wandel einer Gesellschaft nicht kaufen, wenn die Gesellschaft den Wandel nicht will".
In dieser Vergangenheit wurden Schneisen in Regenwälder geschlagen, Flussläufe begradigt, da wurden makroökonomische Schablonen über Länder gelegt, die mit dem, was die Missionare von der Bank "Strukturanpassung" nennen, nichts anfangen konnten. "Durchkapitalisierung der Welt", so nennen das die Weltbank-Kritiker von Oxfam – weil der Präsident der Weltbank immer ein Amerikaner ist und die Stimmenanteile nach Wirtschaftskraft vergeben werden, ist die Ideologie der Bank die der Industriestaaten.
Wer bei der Bank arbeitet, vergisst vielleicht irgendwann, woher er kommt, und wird ganz Weltbanker. Aber die Regierungen verfolgen natürlich weiterhin ihre Interessen. "Die Amerikaner", sagt der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, "feuern jeden Delegierten, der sich ernsthaft um Fairness im Welthandel müht, weil er damit den Interessen der USA schadet."
"Ich diene nicht mehr den USA. Ich bin Präsident der Weltbank, und ich weiß, was das heißt", das sagt Paul Wolfowitz.
Die Tage von Singapur sind lang, und abends gibt es Empfänge. Es ist ein Dickicht, es ist viel Heuchelei dabei. Alle Redner hier sagen, wie wichtig gemeinsame Anstrengungen seien, wie großartig die eigene Arbeit sei, Worte wie "umfassend", "sehr, sehr" schwirren hin und her.
Befragt man Leute innerhalb der Organisation der Weltbank, dann sagen sie, Wolfowitz schiele zwar immer zum Weißen Haus, aber er sei aufrecht, und für den Schuldenerlass der vergangenen Jahre habe vor allem er gesorgt. Fragt man seine Leute, was sie heute von Himself halten, dann sagen sie, sie wüssten es nicht.
- Am Anfang war die Skepsis, sogar Hass.
- Dann überraschte der Präsident seine Firma: Er war lustig, scharfsinnig, fragte, diskutierte. Das waren die Monate, in der er sie einfing mit Charme, und sie lernten, dass der Mann nicht nur den Irak angegriffen hatte. Er ist auch Akademiker. Er war Botschafter in Indonesien. Selbst PW hat Facetten.
- Und jetzt? Jetzt ärgern sie sich über sein amerikanisches Denken, Schwarz oder Weiß. Sie ärgern sich noch mehr über Personalien: Draußen in der Welt trete der Chef gegen Korruption an, aber drinnen hole er in hohe Ämter Leute aus Spanien oder El Salvador, die in den vergangenen fünf Jahren brav an der Seite der USA gestanden hätten. "In-your-face-appointments", so nennt Joseph Stiglitz diese Personalpolitik, die viele Bank-Menschen kränke; es gibt Leute, die Wolfowitz‘ Stil für Korruption halten, in ihrer feinen Form, die Beziehungen pflegt, aber doch: Korruption.
Und wenige Vertraute braucht dieser Wolfowitz, ein winziges Netzwerk nur, die Institution fühlt sich übergangen.
Was will er? "18 Monate ist er jetzt da. Es wäre an der Zeit, dass klar wird, was er will." Das sagt ein Mann in hellblauem Hemd und mit Clubkrawatte, einer von vielen Weltbankern, namenlos, wenn es gilt.