Bomben aus Lissabon

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„Europa zittert vor einem neuen Griechenland. Portugal galt als Europas Musterschüler, als das perfekte Anti-Griechenland. Bis jetzt.“

So titelt der Zürcher Tagesanzeiger am 10. Oktober.

Es hätte alles so schön sein können. Die Euro-Zone hatte endlich ihr Musterland gefunden, eine Nation, die als perfektes Anti-Griechenland bewies, wie gutes Krisenmanagement funktioniert: Portugal. Doch das ist nun vorbei, Lissabon wird nicht länger als Blaupause für Brüssel dienen. Im Gegenteil: per Misstrauensvotum stürzten 123 der 230 Abgeordneten im Parlament das Regierungsprogramm des eigentlich von den Wählern bereits abgewählten Ministerpräsident Coelho, das die Fortsetzung der strengen Sparpolitik vorsah. Das ist sogar eine Stimme mehr, als die Opposition hat!

Nun sieht alles sehr griechisch aus.

An den Finanzmärkten verkauften die Akteure schon am Montag hektisch ihre Portugal-Investments. Die Renditen zehnjähriger Staatstitel schossen bis auf 2,879% in die Höhe, das höchste Niveau seit fast vier Monaten. Die Börse in Lissabon rutschte um mehr als 2% ab.

Die Investoren fürchteten den Sturz der Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Pedro Passos Coelho. Diese hatte bei den Wahlen Anfang Oktober die Mehrheit verfehlt. Trotzdem hatte Portugals Präsident Aníbal Cavaco Silva auf Druck aus Brüssel Coelho mit der Regierungsbildung beauftragt.

Nun haben sich die oppositionellen Kräfte im Parlament, die Sozialisten, der Linksblock und die Kommunisten darauf verständigt, die Minderheitsregierung zu stürzen, um selbst die Macht zu übernehmen. Zusammen verfügt man über 122 der 230 Sitze. Es wurden sogar 123 Stimmen.

Die Experten der amerikanischen Grossbank Citi sprechen von einem „linken Coup“, der nun Wirklichkeit geworden ist – mit dramatischen Konsequenzen.

“Wir haben schon im Sommer gewarnt, dass Portugal das nächste Griechenland werden könnte. Diese Befürchtungen könnten nun Realität werden”,

schreiben die Citi-Experten.

Tatsächlich haben Portugal und Griechenland schon auf den ersten Blick einige Gemeinsamkeiten:

  • Beide Länder haben rund zehn Millionen Einwohner,
  • erwirtschaften gut 170 Milliarden Euro
  • und sitzen auf Schulden, die ihre jährliche Wirtschaftsleistung weit übersteigen.
  • Beide leiden unter ähnlichen strukturellen Problemen und mussten von der Euro-Zone mit Milliardensummen gerettet werden.

Nun könnte sich auch die politische Richtung angleichen, inklusive harter Auseinandersetzungen mit Brüssel und Turbulenzen an den Finanzmärkten.
Monatelanger Verhandlungspoker

Das Parteiprogramm der portugiesischen Links-Parteien liest sich wie eine Kopie der Pläne der Syriza-Bewegung in Griechenland.

Vor allem Brüssel dürfte der neue Kurs nicht gefallen. Gut vorstellbar, dass ein monatelanger Verhandlungspoker folgt. Portugal hat bis heute seine Budgetpläne noch nicht wie vorgeschrieben eingereicht. Also doch nie Musterknabe gewesen?

Alle Schuldenprognosen sind nun hinfällig. Zwar hat Portugal den Rettungsschirm mittlerweile verlassen und ist nicht mehr abhängig von Krediten der Euro-Länder. Jedoch gehört das Land zu den am höchsten verschuldeten des Währungsraumes.
Die öffentliche Schuldenquote liegt bei 127%, addiert man die Verbindlichkeiten von Banken, privaten Haushalten und Unternehmen hinzu, steht Portugal mit einer Quote von gut 500% noch schlechter da als beispielsweise Griechenland, das nur auf 400% kommt.

Kein Musterschüler mehr

“Portugal ist damit sehr anfällig für die Risikoeinschätzung der Märkte”,

meint Alberto Gallo, Stratege bei der Royal Bank of Scotland. Bisher hatte das Land einen Ruf als Musterschüler. Nun könnte sich das Image schlagartig verändern.

„Das Land steht erst am Anfang seines Reformprozesses. Beispielsweise sind die Banken noch nicht restrukturiert“,

sagt Gallo. So schnell wird aus einem Musterschüler also ein Rowdy. Was Politiker und Journalisten nicht permanent für ein Blech reden!

Vor allem von einer Seite droht Ungemach. Die Ratingagentur DBRS könnte Portugal nach einem politischen Umsturz in die Kategorie “Schrott” zurückstufen. Zwar führen die DBRS-Konkurrenten Fitch, S&P und Moody’s das Land bereits als “junk”, doch die Europäische Zentralbank (EZB) bezieht als Kriterium für ihre Anleihekäufe auch das DBRS-Rating mit ein. Sollte Portugal auch hier abrutschen, könnte die EZB innerhalb ihres Anleihekaufprogramms keine Portugal-Papiere mehr kaufen und die portugiesischen Banken könnten bei ihren EZB-Geschäften keine Staatstitel mehr als Pfand einreichen.

Was dann passiert, zeigte sich in Griechenland. Als die EZB im Februar griechische Papiere nicht mehr akzeptierte, schossen die Renditen in die Höhe. Es folgten Turbulenzen, die in der ganzen Euro-Zone zu spüren waren.

Präsident Silva muss gemäss portugiesischer Verfassung nicht zwangsläufig die Linken mit der Regierungsbildung beauftragen. Er könnte auch Coelho als Übergangsregierung einsetzen und Neuwahlen ausrufen. Das wäre dann eigentlich als “Staatsstreich” zu qualifizieren.
Dergestalt düpierte Wähler, die eine neue Mehrheit und den Wandel ja bereits gewählt hatten, werden die neue Mehrheit noch grösser werden lassen. Es lebe der Stimmzettel!

Als Musterschüler der EU taugt das Land ab sofort nicht mehr. Portugal wird erwachsen.

Europa wankt immer mehr.

  1. Erst wird ein Alexis Tsipras in Griechenland gewählt.
  2. Dann kommt der Flüchtlingstsunami über Euroland.
  3. Und nun ein zweiter Tsipras in Portugal?

Bei der Wahl am 4. Oktober in Portugal hatte zwar die konservative Regierungspartei von Premier Pedro Passos Coelho die meisten Stimmen gewonnen, aber die Mehrheit verloren. Trotzdem war die Verliererin vom Staatspräsidenten zur Regierungsbildung beauftragt worden.

Koalitionsverhandlungen mit der zweiten großen Volkspartei, der Partido Socialista, scheiterten.

Am 8. November einigten sich die Sozialisten nun mit den Kommunisten und dem Linksblock auf ein Regierungsprogramm. Das europäische Establishment zittert schon wieder. Nur schaut wegen der Flüchtlingskrise die Öffentlichkeit nicht hin.

In dem Regierungsprogramm, auf das die Linken sich geeinigt haben, werden zahlreiche von der Eurozone aufgezwungene Reformen wieder zurückgedreht.

  • Vier gestrichene Feiertage kommen zurück,
  • ebenso wie die 35 Stundenwoche im öffentlichen Dienst.
  • Geplante Privatisierungen wie die der portugiesischen Airline TAP werden gestoppt,
  • das Mindesteinkommen wird schrittweise angehoben.

António Costa, der Chef der sozialistischen Partei, der neuer Premier werden sollte, hat sich formal den Budget-Vorschriften aus Brüssel verpflichtet. Die geplanten Maßnahmen seien alle durchgerechnet und ermöglichten die Einhaltung der mit der EU vereinbarten Ziele.

Wer es glaubt wird selig. Auch in Portugal wurde Mathematik nicht neu erfunden.

Costa hat sich in ein Boot gesetzt mit den Kommunisten und dem Linksblock – zwei Gruppierungen, die bisher stets als zu radikal galten, um auch nur als Koalitionspartner in Erwägung gezogen zu werden. Nun sollen sie die neue portugiesische Regierung unterstützen. In ihrem Wahlkampf haben diese Parteien Forderungen nach einem Nato-Austritt bzw. einem Austritt aus EU und Euro gefordert. Das ist nicht zwingend “links”, da spricht bezüglich der Nato im Hinblick auf die aggressiven USA einiges dafür.

Wir werden die kommenden Wochen die Entwicklung in Portugal genau beobachten, einer muss das ja tun, wenn die deutsche Presse das Thema versucht auszublenden.

  • Griechenland wird seinen Schuldenschnitt demnächst bekommen, auch wenn er im Rahmen eines Etikettenschwindels umgetauft werden wird.
  • Warum sollte Costa nicht verlangen, was Tsipras und seine Syriza durchsetzen können?
  • Ach ja, man sollte nicht vergessen, dass auch in Spanien demnächst Wahlen anstehen.

“Scheiss Demokratie” denkt man von Brüssel über Paris bis Berlin.

In Portugal hatte zum ersten Mal mit Portugals Staatspräsident ein führender Politiker klar und deutlich gesagt, welche Werte gelten sollen:

  • Nicht die der Demokratie, sondern die der Finanzwirtschaft,
  • nicht der Willen der Wähler, sondern die Interessen der Banken.

Präsident Aníbal Cavaco Silva hatte sich nach den Wahlen noch geweigert gehabt, der demokratisch gewählten Mehrheit den Auftrag zur Regierungsbildung zu geben und das Land damit in eine Verfassungskrise gestürzt.
Sein Argument war, dass eine linke Regierung

„falsche Signale an die Finanzinstitutionen, Investoren und die Märkte“

senden würde.
Anders gesagt: Die Mehrheit der Portugiesen hat dafür gestimmt, die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre abzuschwächen oder abzuschaffen – aber Cavaco Silva findet das

„zu riskant“

Brüssel und den Finanzmärkten gegenüber. Also wurde versucht, das Votum der Wähler zu ignorieren und die konservative, austeritätsfreundliche Partei mit der Bildung einer Minderheitsregierung beauftragt.

Das ist gescheitert – gut so!

In den vergangenen Jahren gab es in Europa schon andere demokratisch gewählte Regierungen in Spanien, Italien, Griechenland, die durch Druck der demokratisch überhaupt nicht legitimierten EU-Institutionen gestürzt wurden.

Der Skandal in Portugal aber, weitgehend verschwiegen von deutschen Medien, hat eine neue Dimension. Der Rubicon sei damit überquert, schrieb Ambrose Evans-Pritchard im britischen „Telegraph“ treffend.

Inzwischen ist zu den bekannten europäischen Krisen also eine weitere gekommen: Und alle Krisen zeigen, wie sehr dieses Europa, das von Cavaco Silva fast wie eine metaphysische Größe beschworen wurde, tatsächlich schwach geblieben ist, eine Hülle nur, eine Fiktion fast, eine Konstruktion ohne Substanz, weil alle Partner sofort bereit sind, so gut wie alle Prinzipien fahren zu lassen, wenn es um die eigenen Interessen geht.

Man war zu beschäftigt damit, sich eine marktkonforme Demokratie zu basteln, eine Cavaco-Silva-Demokratie, die vor allem Ordnung und Sicherheit herstellen sollte. “Sicherheit durch Recht und Ordnung” war im Bundestagswahlkampf des Jahres 1969 der Wahlslogan der NPD.

Andere Werte sind in der Schein-Demokratie des frühen europäischen 21. Jahrhunderts offensichtlich zweitrangig.

Wir drücken Portugal die Daumen wie auch Griechenland, der Geburtsstätte der Demokratie. Und wir schauen hoffnungsvoll auf die Wahlen in Spanien.

Die autokratischen Charaktermasken, die Scheindemokraten in Europas Establishment, wir können sie nicht mehr sehen, sie widern uns an.

Kommt ein neuer “Wind of Change”?